Notizschrift

  Die Neue Notizschrift von Karl Wilhelm Henke und Konrad Weber

Von Dr. Hans-Jürgen Bäse, Braunschweig

Einen einfachen Einstieg in das Stenografieren auf der Grundlage der Deutschen Einheitskurzschrift erreichen Karl Wilhelm Henke und Konrad Weber mit der Neuen Notizschrift. Uns liegt der Entwurf eines Lehrbuches vor, mit dem sie sich in zwölf Lerneinheiten binnen weniger Wochen erlernen und bis zur Praxisreife einüben lässt. Henke hat bei Unterrichtsversuchen an einer höheren Handelsschule, an welcher er unterrichtet, außergewöhnlich gute Ergebnisse erzielt.

Zielgruppe für das neue System sind Ausbildungsstätten und alle diejenigen, welche viel handschriftlich arbeiten müssen: Journalisten, Schüler, Studenten und viele andere. Die übliche Schreibgeschwindigkeit mit der Langschrift wird mindestens auf das Doppelte erhöht. Überdies dürfte mancher Anwender der Neuen Notizschrift den Geschmack auf mehr Kurzschrift bekommen und könnte über eine lernstoffreduzierte Verkehrsschrift möglicherweise an weitere Stufen der DEK herangeführt werden.

Die Neue Notizschrift ist eine Mischung aus Langschrift und Deutscher Einheitskurzschrift. Wo nicht anders festgelegt, wird die Langschrift verwendet. Sie wird in den Punkten vereinfacht, in denen dies auch die DEK nach §§ 8.1 und 8.2 SU tut. Die Unterscheidung langer und kurzer Vokale entsprechend der langschriftlichen Rechtschreibung wird also nicht berücksichtigt. Darüber hinaus wird auf die Großschreibung verzichtet. Im bisher vorliegenden Entwurf fehlt allerdings die Einschränkung, dass die Vereinfachungen bei Verwechslungsmöglichkeiten nicht anzuwenden sind: ein staatliches : stattliches Gebäude, bieten : bitten usw. Gerade bei der Anwendung für Notizen ohne Satzzusammenhang sind solche Unterscheidungen vermehrt erforderlich. Die Praxis muss noch zeigen, wie weit die Neuen Notizschrift  bei der Vereinfachung gehen darf.

In diese schnell begreifbare Abbreviaturschrift werden stenografische Elemente eingemischt: zwei kurzschriftliche Zeichen, 55 Schreibungen für Wörter, 14 für Vorsilben und Vorwörter (die letzten zum Teil identisch mit den Schreibungen für Wörter), 22 Schreibungen für Wortschlüsse. Grafisch unterschiedlich sind allerdings nur 11 der 22 Schreibungen für Wortschlüsse, da in einigen Fällen nach Nachsilben identische Schreibungen für Endungen verwendet werden.

Von der DEK wird nur in vier Fällen abgewichen. Auslautendes –e erhält einen einstufigen Aufstrich, um so deutlich von einem auslautenden Flachstrich für –en zu unterscheiden. Er ist dem System Stolze-Schrey entnommen, wohin er über Schrey aus dem System Stolze gekommen ist. Die Verwendung eines untergesetzten Punktes für –ung und eines übergesetzten Punktes für –ig ergibt sich aus einer sinngemäßen Anwendung von §§ 17.2 und 20.2 SU.

Sonst wird das Zeicheninventar der DEK verwendet, das mit den Zeichen sch, st, den beiden  Silbenzeichen – eit und verkehrsschriftlichen Kürzeln für Wörter und Wortteile verwendet wird. In ganz wenigen Fällen werden für kurze Wörter ausgeschriebene Schreibungen der Verkehrsschrift übernommen. Schließlich sind wenige Schreibungen der Eilschrift und drei der Redeschrift – für Euro, Europa, europäisch - vertreten. Wer die Neue Notizschrift  lernt, erarbeitet sich damit unbewusst schon eine größere Zahl von Zeichen der DEK, die in den Schreibungen verwendet werden:  b, ch,  d, dr,  f, h, k, m, n, r, s, Aufstrich-t, v, w, wr.

Zu den Zeichen für Wörter gehören:

● Artikel: das, dem, den, der, des, die,
● Pronomina:: ich; er, sie, es; wir; uns, sich; unser; dies
● Konjunktionen:: dass, und, wenn
● Hilfsverben:: ist, sind; hat, hab; kann, könn-; soll; wird-
● Präpositionen:: ab, an, auf, aus, bei, durch, für, in, mit, vom, von, vor, zu
● Vollverb:: komm
● Adverbien:: also, auch, nicht, noch, so
● Zahlen:: hundert, tausend, Million
● Europa, europäisch, Euro, deutsch, Deutschland, Österreich


Die Schreibungen für ab, an, auch, bei entsprechen den ausgeschriebenen Formen der DEK. Die Schreibung für es entspricht der ausgeschriebenen Schreibung der Verkehrsschrift, das Kürzel wird in der Neuen Notizschrift nicht verwendet. Die Schreibungen komm-, nach, hundert, tausend, Million sind der Eilschrift entnommen. Die Gruppe Europa, europäisch, Euro beruht auf den Schreibungen für eu der Redeschrift in §§ 15.2, 17.1. Sonst handelt es sich bei den nicht ausgeschriebenen Formen um Verkehrsschriftkürzel gemäß § 5.2 SU.

An kurzschriftlichen Schreibungen für Vorsilben und Wortanfänge finden sich in der Neuen Notizschrift:  ab-, an-, ant-, auf-,aus-, be-, ent-, er-, ge-, ge…, nach-, un-, ver-, vor-, zu-. Der Wortanfang ge- wird – wie in der Deutschen Stenografie der DDR – immer aufwärts geschrieben. Die Neue Notizschrift verwendet diese Schreibung nicht nur für die Vorsilbe, sondern für alle Wortanfänge, also auch in Fällen wie geben, gehen, gegen, gestern. Damit wird dem Fall Rechnung getragen, dass sprachlich weniger geschulte Benutzer nicht immer zwischen der Verwendung von ge- als Vorsilbe oder Stamm klar unterscheiden können.

Schließlich noch die Wortschlüsse und Nachsilben. Hierhin gehören: -e am Wortende, eit, eite, eiten, eiter, eites, -en am Wortende, -er  am Wortende, -haft, -heit, -ig, -ige, -igen, -iger, -igkeit, - lich, -keit,  -ung, -ungen, -ungs- (= -ung). Am Wortende wird -ig als einstufiger Aufstrich geschrieben und hebt sich damit klar vom Flachstrich <>-en ab. Am Wortschluss wird –ig als Punkt auf der Oberlinie geschrieben. Mit einem einstufigen Aufstrich auf der Oberlinie wird -ige wiedergegeben, mit dem Flachstrich auf der Oberlinie –igen, mit er auf der Oberlinie -iger, mit eit auf der Oberlinie -igkeit. Für die Nachsilbe -ung wird ein tief gestellter Punkt verwendet, der auch bei -ungs- genutzt wird. Der tief gestellte Flachstrich dient für die Schreibung von -ungen. Die Nachsilbe –isch wird wie das –i(e) des § 12 verwendet.
Für den letzten Bereich ist die DEK teilweise sinngemäß verwendet worden, so für -ig, -ung die Bestimmung der Inlautkürzung gemäß § 17.2. Die Hoch- bzw. Tiefstellung folgender Endungen beruht sinngemäß auf § 18.3. Mit der Weglassung -[ig]keit wird sinngemäß eine Bestimmung von § 11.1 e aufgegriffen.

Das alles wird in zwölf Lerneinheiten methodisch geschickt Punkt für Punkt dargeboten und am Schluss jeder Lektion in Übungssätzen trainiert. Zur Lernzielkontrolle dient eine Übertragungsaufgabe. Die Mischung von langschriftlicher Abbreviaturschrift und stenografischen Schreibungen, die nach und nach ausgebaut werden, nimmt den Lernenden einen großen Teil der beim Erlernen der Kurzschrift häufig zu beobachtenden Furcht, das Geschriebene nicht lesen zu können. Da die einzelnen Lernpunkte nach und nach – je ein Lernpunkt pro Zeile – eingeführt werden, kann bei der Erarbeitung auch mitten in einer Lerneinheit abgebrochen werden.

Noch liegt keine Untersuchung aufgrund sprachstatistischer Daten vor, welcher Prozentsatz des deutschen Wortschatzes in der Neuen Notizschrift von kürzeren Schreibungen abgedeckt wird. Er dürfte beträchtlich sein und damit sicher Zweifler überzeugen, was bei aller Einfachheit in der Neuen Notizschrift alles verkürzbar ist.

Der Beispieltext zeigt, was alles kürzbar ist, indem kürzbare Teile kursiv dargestellt sind.


Der Lieferer muss immer darauf achten, dass die Forderungen rechtzeitig beglichen werden. War in der Rechnung eine Frist angegeben, gerät der Käufer nach Ablaufdieser Frist in Zahlungsverzug. Die erste Zahlungserinnerung sollte freundlich abgefasst werden. Es erinnert den Kunden an die Zahlung und erhnt den Zahlungstag. In der zweiten Zahlungserinnerung sollten Mahnkosten beanspruchtwerden.

Kurzschriftgeschichtlichist eine solche Mischung von Langschrift und Kurzschrift meines Wissens bisher nur einmal versucht worden, freilich auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich für die Notizentechnik der Dolmetscher. Der Heidelberger Universitätsdozent Heinz Matyssek hat sie 1989 in seinem Handbuch der Notizentechnik für Dolmetscher als einen „Weg zur sprachunabhängigen Notation“ veröffentlicht. Er hat in die für das Konsekutivdolmetschen bestimmte Notizentechnik auch wenige Elemente der Deutschen Einheitskurzschrift eingebaut. Die Notizentechnik ist speziell auf das sprachunabhängige Festhalten von Gesprochenem in Ziel- und Ausgangssprache bestimmt. Stenografieren kommt aus hier nicht zu erörternden Gründen nicht in Frage, Elemente der Stenografie lassen sich dabei aber verwenden.

Somit steht die Neue Notizschrift kurzschriftgeschichtlich bisher einzig da. Es handelt sich um eine Mischung von einer Abbreviaturschrift aus ganz wenigen Verkürzungselementen mit silbenschriftlichen Elementen der DEK.

So weit die Beschreibung der Neuen Notizschrift. Schwieriger ist im Jahre 2002 die kurzschriftpolitische Bewertung. Wie wird diese Schrift von den Vertretern der Deutschen Einheitskurzschrift aufgenommen, selbst wenn ihr Autor Präsident des Deutschen Stenografenbundes ist und sich auch einer der Vizepräsidenten des DStB, Konrad Weber, an den ersten Versuchen beteiligt? Der Geschäftsführende Vorstand des Deutschen Stenografenbundes hat einstimmig beschlossen, die Neue Notizschrift in Lehrgängen der Stenografenvereine zu empfehlen. Damit soll aber die Neue Notizschrift nicht an die Stelle der Deutschen Einheitskurzschrift treten, sondern lediglich neue Zielgruppen (z. B. Journalisten, Studenten usw.) ansprechen.

Viele Repräsentanten des DStB, besonders solche an führender Stelle, haben sich seinerzeit schon gegen eine lernstoffreduzierte Verkehrsschrift, die immerhin nur einige stenografische Elemente der Verkehrsschrift aufgab, gewehrt und ihre Einführung blockiert, auch noch zu einer Zeit, wo es nur noch geringe Chancen für die Kurzschrift in der Schule gab. Möglicherweise werden sie sich später von der Kurzschriftgeschichte den Vorwurf gefallen lassen müssen, in Nibelungentreue die Deutsche Einheitskurzschrift als weit verbreitetes Rationalisierungsmittel für geistige Arbeit an die Wand gefahren zu haben.

Sie sollten diesen Fehler nicht noch einmal begehen und den von Henke und Weber gezeigten Ausweg mit tragen, der den Zugang zu weiteren Stufen der DEK öffnet, wenn es nur gelingt, die Neue Notizschrift mit der entsprechenden Begeisterung zu vermitteln und auf mehr Kurzschrift neugierig zu machen. Dafür kann die Neue Notizschrift, über deren Einzelheiten sicher noch zu diskutieren sein wird, gute Dienste leisten.

Die Neue Notizschrift können Sie bestellen bei:

Verlag NN
Wilhelm-Kempin-Straße 68
26133 Oldenburg

E-Mail: verlag.nn@web.de

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